Die Neuraltherapie zählt zu den alternativen Heilmethoden. Mit gezielt platzierten Injektionen von Lokalanästhetika (örtliche Betäubungsmittel) wird die Selbstheilungskraft des Körpers unterstützt oder überhaupt erst in Gang gesetzt. Soweit die Kurzform. Zur besseren Einordnung und persönlichen Bewertung, ein paar Hintergründe über die Wirkungsweise, die Therapie und darüber, was mit der Neuraltherapie in Bezug auf Rückenschmerzen möglich ist.
Neuraltherapie nimmt Einfluss auf das vegetative Nervensystem
Neuronen sind Nerven. Die Neuraltherapie wirkt auf das Nervensystem, genauer gesagt, auf das vegetative Nervensystem. Das vegetative, auch autonome, Nervensystem regelt lebenswichtige Körperfunktionen. Diese Nervenimpulse unterliegen (zum Glück) nicht unserem Willen. Es regelt unter anderem den Blutkreislauf, die Atmung und den Stoffwechsel.
In der Neuraltherapie geht man davon aus, dass fast alle Erkrankungen unter Beteiligung des vegetativen Nervensystems verlaufen. Auf jeden Fall gilt das für
- Entzündungen,
- Allergien,
- Schmerzempfindungen
- und degenerative Prozesse.
Das vegetative Nervensystem wird eingeteilt in zwei unterschiedlich wirkende Kräfte: dem Sympathikus (aktivierend) und den Parasympathikus (entspannend). Die Neuraltherapie beeinflusst in erster Linie den Sympathikus und nimmt damit Einfluss auf das gesamte vegetative Nervensystem.
Wo wird bei der Neuraltherapie gespritzt?
In der Neuraltherapie wird ein Lokalanästhetikum mit einer sehr feinen Nadel in bestimmte Zonen am Körper gespritzt. Entweder in die betroffenen Gebiete oder in entfernte Areale, sogenannte Störfelder. Das können gereizte Zahnwurzeln, Narben oder Reflexzonen (Headsche Zonen) sein. Gespritzt wird dabei entweder tief in die Haut oder ins Muskelgewebe. Als Lokalanästhetikum wird in der Regel Procain verwendet. Procain enthält keine weiteren Zusatzstoffe und wird vom Körper innerhalb von 20 Minuten abgebaut. Die betäubende Wirkung steht dabei nicht im Vordergrund, wie zum Beispiel bei der Injektion eines Lokalanästhetikums beim Orthopäden.
In der Neuraltherapie wird nach drei unterschiedlichen Arten der Injektionsstellen unterscheiden:
- Segmenttherapie
Hier wird in den Regionen der betroffenen Areale gespritzt. Oft in die betroffenen Spinalnerven, in entsprechender Höhe der Wirbelsäulensegmente. Es wird dort hineingespritzt, wo es wehtut. - Erweiterte Segmenttherapie
Es wird in die zuständigen, übergeordneten Strukturen gespritzt, wie Nervenknoten (Ganglien) oder Nervengeflechte (Plexus). - Störfeldtherapie
Wenn man auch mit der erweiterten Segmenttherapie nicht weiter kommt, kann in die verantwortlichen Störfelder gespritzt werden. Basierend auf der Annahme, dass Störfelder (chronische Entzündungsherde), an ganz anderen Stellen im oder am Körper Beschwerden hervorrufen können.
Wie wirkt die Neuraltherapie?
Die Nervenfasern des Sympathikus regulieren den Blutdruck in den Gefäßen. Die Neuraltherapie geht davon aus, dass Erkrankungen nicht in erster Linie von den Körperzellen ausgehen, sondern von einem Ungleichgewicht im Nervensystem. Damit die Zellen ihre Arbeit leisten können und sich erneuern, sind sie auf eine adäquate Durchblutung ihrer direkten Umgebung angewiesen. Tritt nun ein kurzer Entzündungsreiz auf, wird der Sympathikus erregt und führt zu einer Engstellung der Gefäße. Dieses Gebiet wird in der Folge nicht mehr optimal mit frischem Blut versorgt und es entsteht eine Entzündung. Diese Entzündung verursacht nicht nur lokale Beschwerden.Dem vegetativen Nervensystem wird auch eine Speicherfähigkeit von Reizen zugesprochen. Diese verursachen dann, fernab vom eigentlichen Entzündungsherd, Beschwerden. Eine Injektion an entsprechenden Stellen, wirkt durchblutungsfördernd, entzündungshemmend und entspannend. Sie kann so, über das vegetative Nervensystem dann umgekehrt, auch positiv regulierend, Einfluss auf die funktionellen Regelkreise zu nehmen.
Einsatzgebiete der Neuraltherapie
Die Neuraltherapie kann akuten Erkrankungen eingesetzt werden. Doch ihr Haupteinsatzgebiet sind die chronischen Erkrankungen. Man sagt, dass circa 80 Prozent aller chronischen Erkrankungen neuraltherapeutische behandelt werden können. Gerade bei lang andauernden Erkrankungen, wenn die Schulmedizin nicht mehr weiter weiß, kommen oft alternativen Heilmethoden zur Anwendung, wie die Neuraltherapie. Die häufigsten Einsatzgebiete sind chronische …
- Rückenschmerzen
- Kopfschmerzen
- Nackenverspannungen
- Gelenkerkrankungen
- Asthma
- Hauterkrankungen
- Magen- und Darmbeschwerden
Wer praktiziert die Neuraltherapie?
Die Neuraltherapie wird von Ärztinnen und Ärzten mit einer zusätzlichen Ausbildung praktiziert. Heilpraktiker dürfen seit 2006 nur noch eine abgeschwächte Form der Neuraltherapie anbieten. Die Neuraltherapie nach Huneke (nach Ferdinand und Walter Huneke, den Entwicklern der Therapie benannt) darf nur noch von Medizinerinnen und Medizinern praktiziert werden. Man schätzt, dass die Neuraltherapie europaweit in ungefähr 1.500 Praxen zur Anwendung kommt. Auf der Internetseite der Deutschen Gesellschaft für Akupunktur und Neuraltherapie (DGfAN) kann man nach diesen Praxen in seiner Nähe suchen.
Übernimmt die Krankenkasse die Kosten für Neuraltherapie?
Die Krankenkassen übernehmen in der Regel die Behandlung einer Neuraltherapie. Allerdings nur im Rahmen der Segmenttherapie. Das heißt, wenn in die Bereiche gespritzt wird, wo es wehtut. Geht eine Segmenttherapie in eine Störfeldtherapie über, müssen die Patienten die Kosten selbst tragen. Denn die Theorie und Wirkung einer der Störfeldtherapie ist wissenschaftlich nicht anerkannt. Man kann mit 20 bis 50 Euro (Preise nach Gebührenordnung für Ärzte) je Behandlung rechnen.
Wie läuft eine Neuraltherapie ab?
Wie bei allen ganzheitlichen und regulativen Therapien, beginnt auch die Anwendung der Neuraltherapie mit einer ausführlichen Erstbefragung (Anamnese). Als Verursacher können lange zurückliegende Ereignisse, wie Narben und chronische Entzündungsherde in Frage kommen. Danach folgt ein gründliches Abtasten (Palpation) des Körpers, um Veränderungen im Unterhautgewebe und in der Muskulatur festzustellen. Ist ein möglicher Verursacher gefunden wird zunächst das betroffene Gebiet selbst mit Injektionen versehen (Segmenttherapie, erweiterte Segmenttherapie). Wenn sich die Beschwerden nicht sofort bessern (Sekundenphänomen nach Huneke) folgen weitere Behandlungen. Gerade bei chronischen Erkrankungen werden in der Regel drei bis fünf Behandlungen benötigt.
Nebenwirkungen von Neuraltherapie
Bei den Injektionen wird mit ganz feinen Nadeln gespritzt, die Schmerzen sind sehr gering. Es können sich an der Einstichstelle Quaddeln unter der Haut bilden. Als Nebenwirkung kann es danach zu einem leichten, kurzen Schwindel kommen, aufgrund von Blutdruckschwankungen. Nach der Behandlung sollte man sich jeweils ein bis zwei Stunden Ruhe gönnen.
In Einzelfällen, bei nicht fachgerecht gesetzten Spritzen, kann es zu ernsthaften Nervenschäden oder zu einem Kreislaufzusammenbruch kommen. Gelegentlich gibt es allergische Reaktionen auf Procain. Nehmen Patienten blutverdünnende Medikamente ein, darf nur oberflächlich in die Haut gespritzt werden.
Kann die Neuraltherapie bei Rückenschmerzen wirklich helfen?
Rückenschmerzen sind mit Abstand die häufigsten Indikationen, bei der die Neuraltherapie zur Anwendung kommt. Bestimmt nicht zuletzt, weil viele Betroffenen damit gute Erfahrungen gemacht haben. Doch gilt auch hier: Was in einem Fall geholfen hat, muss nicht zwangsläufig für alle ähnlichen Fällen gelten. Gerade bei ganzheitlichen Therapieansätzen spielt die Individualität der einzelnen Patienten und das Einfühlungsvermögen der jeweiligen Therapeutinnen oder Therapeuten eine besonders wichtige Rolle. Daher kommt es relativ häufig zu gegenteiligen Aussagen und Bewertungen in Bezug auf die Wirksamkeit. Bei alternativen Heilmethoden fehlen meist die wissenschaftlichen Belege für die Wirksamkeit. Auch das ist ein nicht zu unterschätzender Plazebo Effekt in beiden Richtungen, bei der Beurteilung, ob eine Behandlung hilft oder nicht.
Definitionen
Störfeldtherapie
In der Störfeldtherapie geht es um das Auffinden von Störfeldern. Als Störfelder gelten chronische, latente Entzündungen. Viele Erkrankungen und Verletzung hinterlassen solche Störfelder, die von den Betroffenen nicht bewusst wahrgenommen werden (zurückliegende Wurzelbehandlungen oder Mandeloperationen). Diese verursachen an anderer Stelle eine Erkrankung. Wird das Störfeld gefunden und ausgeschaltet, so soll auch die Erkrankung ausheilen.
Segmenttherapie
In der Segmenttherapie werden bestimmte Hautstellen (Dermatome) längs der Wirbelsäule einem bestimmten Rückenmarksegment zugeordnet. Hier treten 31 sogenannte Spinalnervenpaare aus, die jeweils bestimmte Organe und Muskeln versorgen. In der Segmenttherapie versucht man durch unterschiedliche Beeinflussungen oder Reize dieser Hautareale, darauf einzuwirken. Besonders häufig wird die Therapie bei Schmerzen, Entzündungen und Erkrankungen am Bewegungsapparat durchgeführt.
Palpation
Palpare heißt streicheln. Bei einer ärztlichen Untersuchung gehört die Palpation, ein Betasten des Körpers zur Basis der Untersuchungsmethoden. Neben Inspektion (Ansicht), Auskultation (abhorchen), Perkussion (abklopfen) und der Anamnese (Befragung). Diese fünf Untersuchungsmethoden gehören zu den Grundlagen der Diagnostik. Bei der Palpation geht es um Konsistenz, Beweglichkeit, Elastizität, Schmerzempfindlichkeit und die Größe innerer Organe.
Sekundenphänomen nach Huneke
1940 kam eine Frau wegen starker Schulterschmerzen in die Praxis von Dr. Ferdinand Huneke. Am Ende einer bis hierhin erfolglosen Behandlung, spritzte er eine Art Procain in den Bereich einer Narbe des Unterschenkels. Im selben Moment waren die Schulterschmerzen verschwunden. Die Geburt des Sekundenphänomens nach Huneke. Ein, wenn auch selteneres Phänomen, der Neuraltherapie.
„Unter Nackenschmerzen leiden in der Tat viele Menschen. Weltweit sind dies ungefähr 330 Millionen (beinahe 5% der Weltbevölkerung).“