Das Nacken-Zungen-Syndrom ist kein eindeutiges Krankheitsbild. Aus der Bezeichnung „Syndrom“ lässt sich bereits erkennen, dass es sich dabei um eine Kombination von Symptomen im Bereich des Nackens und der Zunge handelt. In der Medizin spricht man auch kurz vom NTS, englisch Neck-Tongue-Syndrom.
Was ist das Nacken-Zungen-Syndrom?
Das NTS wird nur selten diagnostiziert und findet sich in der Medizin dementsprechend selten beschrieben. Oft wird das Nacken-Zungen-Syndrom unterschätzt, obwohl es für die Betroffenen starke Einschränkungen und Schmerzen bedeuten kann. Die Diagnose gestaltet sich manchmal schwierig, besonders dann, wenn nicht alle Symptome, wie beschrieben, auftreten.
Die medizinische Definition
Beim NTS treten anfallsartig (paraoxymal) starke, einseitige Schmerzen im Hinterhauptbereich oder oberen Nackenbereich auf. Diese Schmerzen sind verbunden mit Empfindungsstörungen (Dysästhesien) der Zungenhälfte auf derselben Seite. Meistens werden diese Symptome plötzlich, durch eine ruckartige Drehbewegung des Kopfes hervorgerufen.
Die Erklärung
Die genaue Ursache eines NTS ist noch nicht mit Bestimmtheit geklärt. Man geht davon aus, dass der Auslöser eine Subluxation des Atlanto-axialen Gelenkes (zweites Kopfgelenk, Gelenk zwischen C1 und C2) ist. Eine Subluxation ist die unvollständige Ausrenkung eines Gelenkes. Dabei sitzt der Gelenkkopf noch zu einem Teil in der Gelenkpfanne.
Aber man hat auch festgestellt, dass nicht in jedem Fall die Ursache im Atlanto-axialen Gelenk liegen muss. Auch ein Hypertonus (Verspannung, Verhärtung) der tief liegenden schrägen Muskeln in diesem Bereich kann dafür verantwortlich sein. Bisher soll dieser Auslöser bei bis zu 25% der dokumentierten NTS-Fälle zugrunde liegen.
Bei einer Läsion im Gelenk oder einer Muskelverhärtung wird die vordere Nervenwurzel des zweiten Spinalnervs gereizt.
Zur Erklärung: Spinalnerven treten vom Rückenmark jeweils beidseitig paarig im Bereich der Zwischenwirbellöcher aus oder ein. Im Bereich der Halswirbelsäule werden die Spinalnerven auch Zervikalnerven genannt.
Bei einem NTS Vorfall sind speziell die nervalen Versorgungsgebiete der Zunge involviert. Entsprechend kommt es zu Sensibilitätsstörungen (seltener auch Motilitätsstörungen) auf der betroffenen Zungenseite, und zwar im Bereich der vorderen zwei Drittel der Zunge.
Folgende Nerven können bei einem Nacken-Zungen-Syndrom betroffen sein:
- N. lingualis (sensibel)
- N. hypoglossus (motorisch)
- Hinterwurzel von C2 (sensible Nerv für die Nackenregion)
Wie macht sich das Nacken-Zungen-Syndrom bemerkbar?
Eine ruckartige, unglückliche Drehbewegung des Kopfes: Jeder wird das darauf folgende Gefühl kennen. Plötzliche Schmerzen, ein Kribbeln und Taubheitsgefühle, alles schießt gleichzeitig vom Nacken bis in den unteren Hinterkopf hinein. In der Regel lässt dieses Gefühl nach wenigen Minuten nach.
Ein Nacken-Zungen-Syndrom wird ebenfalls häufig durch eine plötzliche Drehbewegung ausgelöst. Aber auch heftiges Husten und Pressen können die Auslöser sein. Dass es dabei allerdings gleich zu einer halben Ausrenkung eines Kopfgelenkes kommt, ist relativ selten. In den meisten Fällen eines NTS liegen bereits Schädigungen im Bereich der Bänder, Bandscheiben, Wirbel, Wirbelgelenke oder Muskeln vor.
Folgende Symptome können beim Nacken-Zungen-Syndrom auftreten:
- plötzlicher, einseitiger Hinterkopfschmerz, manchmal auch Dauerschmerz
- plötzlicher einseitiger Nackenschmerz, manchmal auch Dauerschmerz
- Missempfindungen auf einer Zungenhälfte, im vorderen bis mittleren Bereich
- Ausstrahlung der Schmerzen bis in den Bereich der Augenhöhle (derselben Seite)
- Ausstrahlung der Schmerzen bis in den Arm (derselben Seite)
- spürbare Symptome der Zunge können auch vollständig fehlen
Nacken-Zungen-Syndrom die Auslöser
Oft sind es Vorschäden im Bereich der Halswirbelsäule, die ein NTS möglich machen oder aufgrund erhöhter Flexibilität in junden Jahren. Die Schäden entstehen durch Verschleiß im fortgeschrittenen Alter, durch dauerhafte Überbeanspruchung, einer dauerhaften Fehlhaltung oder auch durch eine jahrelange bewegungsarme Lebensweise.
Oder der Aulöser ist eine Muskelverhärtung in diesem Bereich, die ebenfalls durch Fehlhaltungen und Fehlbelastungen verursacht wird. Durch diese Umstände werden dann im Bereich des Atlanto-axialen Gelenkes die entsprechenden Nervenwurzeln gereizt.
Andere Erkrankungen, wie Bandscheibenvorwölbungen, -vorfälle, Schleudertraumata, Entzündungen, genetische Anomalien oder Tumore, können ähnliche Symptome auslösen. Daher müssen sie differenzialdiagnostisch von einem Nacken-Zungen-Syndrom abgegrenzt werden.
Die Risikogruppen
Bei Kindern und Jugendlichen tritt das NTS gehäuft auf. Hier oft ausgelöst durch eine heftige Bewegung beim Spiel. Auch ältere Menschen, Bewegungsmuffel und Menschen in Berufen mit Bildschirmarbeit sind gefährdet. (Man kann in diesem Zusammenhang nicht oft genug betonen, wie wichtig es ist, die Muskeln längs der Wirbelsäule und besonders im Halsbereich durch Übungen fit zu halten und zu stärken. Besonders dann, wenn man den ganzen Tag sitzend, lesend und schreibend an einem Platz verbringt.)
Menschen mit Vorerkrankungen wie Morbus Bechterew, einer degenerativen Spondylose oder einer psoriatrische Arthritis haben ebenfalls ein erhöhtes Risiko für das Nacken-Zungen-Syndrom.
Die Diagnose Nacken-Zungen-Syndrom
Wie bei vielen Erkrankungen gilt auch hier, je eher die richtige Diagnose getroffen wird, desto besser. Das ist in diesem Fall nicht immer einfach. Die Schmerzen können kommen und gehen oder dauerhaft bestehen bleiben. Wenn sie erst einmal chronisch geworden sind, kann fast nur noch eine Schmerztherapie helfen.
Wer die klassischen Symptome wahrnimmt, inklusive der Missempfindungen auf einer Zungenseite, wird einen ersten Hinweis auf die Diagnose bereits haben. Doch leider zeigen sich die Symptome nicht immer wie im Buch beschrieben, das macht es auch für die Medizin schwer, auf Anhieb die richtige Diagnose zu stellen.
Die erste Anlaufstelle sollte die hausärztliche oder orthopädische Praxis sein. Hier wird man dann, je nach Erstbefund, an weitere Fachbereiche überwiesen.
Die erste Diagnose wird aller Wahrscheinlichkeit nach „Halswirbelsäulensyndrom (HWS-Syndrom)“ lauten. Nachfolgend geht es um eine Differenzierung, um die Ursachen weiter einzugrenzen. Nach einer ausführlichen Anamnese werden manuelle Tastbefunde sowie Röntgenbilder nähere Aufschlüsse zulassen. Ebenso liefern die Bilder der neurologischen und weichteiligen Strukturen Hinweise für die Diagnose.
Abgrenzung zu anderen Erkrankungen
Es gibt einige Erkrankungen, die es auszuschließen gilt, bevor es zur eindeutigen Diagnose Nacken-Zungen-Syndrom kommen kann:
- Migräne
- zervikogene Kopfschmerzen (durch Veränderungen an der HWS hervorgerufen)
- Eagle-Syndrom (Stylohyd-Synrom); durch eine Verkalkung des Ligamentum stylohyoideum (Band von der Schläfe bis zum Zungenbein); oder durch einen zu langen Griffelfortsatz am Schläfenbein
- retropharyngeale Tendinitis; eine hinter dem Rachen liegende Sehnenentzündung
- zervikales Überlastungssyndrom
- zervikales myofasziales Syndrom (Überreizung des Muskelgewebes im Halswirbelbereich)
- zervikale Funktionsstörungen (durch Hypomobilität, Hypermobilität oder Bänder- und Bandscheibenzerreißungen)
Das Nacken-Zungen-Syndrom: Therapie und Prognose
Die ersten Therapieansätze sind eher allgemeiner physiotherapeutischer Art, wie sie bei vielen Beschwerden der Halswirbelsäule schon beschrieben wurden. Das reicht von Massagen, schmerzstillenden Mitteln, physikalische Anwendungen bis hin zu physiotherapeutischen Übungen.
Werden die Beschwerden nicht therapiert oder bleiben sie trotz therapeutischer Maßnahmen bestehen, besteht die Gefahr, dass sie chronisch werden. Hier können bereits Module der Schmerztherapie zur Anwendung kommen. Die Richtlinien für eine Therapie bei einem Nacken-Zungen-Syndrom sind wenig speziell. In einigen Therapie-Berichten konnte eine spürbare Besserung der Beschwerden mit einer chiropraktischen Behandlung erreicht werden.
Es gibt kaum kontrollierte Studien von Therapien bei einem NTS. Jedoch wird berichtet, dass eine invasive Therapie, wie eine Wirbelversteifung oder eine Resektion der Spinalwurzel, nur in den allerseltensten Fällen angewendet werden muss.
Weiterführende Therapien
Obwohl das Nacken-Zungen-Syndrom selten diagnostiziert wird, kommt es unter den wenigen Betroffenen relativ häufig zu chronischen Schmerzen. Einmal vielleicht, weil die Ursache nicht erkannt wird oder eben, weil die konservativen Methoden keine Linderung der Beschwerden bringen. Oft endet das dann mit einer Behandlung in der Schmerzklinik.
Hier versucht man, mit individuellen Kombinationen verschiedenster Bausteine (multimodal) gegen die Schmerzen vorzugehen. Die möglichen Methoden sind:
- regelmäßige Lokalanästhesien
- Analgetikatestung (es wird geprüft, welche Schmerzmittel im Notfall möglichst effektiv gegen den Schmerz helfen)
- begleitende Maßnahmen
Unter begleitende Maßnahmen fallen unterschiedliche Behandlungsmethoden, die zum Teil auch schon neben oder mit der klassischen Physiotherapie zur Anwendung kommen können:
- Schmerz-Akupunktur
- Hochtontherapie (hochfrequente Musikstimulation)
- physiotherapeutische Maßnahmen
- physikalische Maßnahmen (Wärme, Kälte)
- Entspannung
- Hypnose
- spezielle Verfahren wie autogenes Training, progressive Relaxation nach Jakobson
- Schmerzbewältigungstraining
Nacken-Zungen-Syndrom: Vorbeugung, Eigentherapie
Bei Kindern und Jugendlichen kommt es wenn, dann häufig beim Spielen oder beim Sport zu einem NTS. Alle Bänder und Sehnen sind noch sehr flexibel, sie geben einer kurzen ruckartige Bewegung eher nach als die von Erwachsenen . In der Regel renkt sich das in kürzester Zeit von selbst wieder ein. Mit vorsichtigen dehnenden Bewegungen kann man diesen Prozess begleiten.
Heranwachsende und Erwachsene müssen früh genug vorbeugen, indem sie allzulange starre Haltungen mit dem Handy oder am Bildschirm vermeiden. Diese Geräte sind gerade für den Halswirbelbereich eine wachsende Gefahr. Nicht nur was das Nacken-Zungen-Syndrom betrifft. Dreh- und Dehnübungen für den Nacken- und Schulterbereich sollten beim Arbeiten oder beim intensiven Konsum an diesen Geräten alle zwanzig Minuten zu einer festen Routine werden.
Erste Hilfe Maßnahmen bei einem einschießenden Schmerz in den Nacken:
Die ersten Symptome, die bei einem NTS auftreten, der einschießende Nacken-Hinterkopfschmerz sowie die Missempfindungen derselben Zungenseite, sind in der Regel nur von kurzer Dauer. Sobald die Schmerzen nachlassen, werden meistens nur noch geringe Bewegungseinschränkungen bei der Kopfdrehung wahrgenommen. Im weiteren Verlauf geht es darum, ein „nächstes Mal“ zu verhindern. Dafür eigenen sich regelmäßige An- und Entspannungsübungen für den oberen Bereich der Halswirbelsäule mit sanften Bewegungen und isometrische Übungen.
Tritt ein NTS gehäuft auf, sollte auf jeden Fall professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden.
Als positiv für den Krankheitsverlauf bewertete man laut Patientenakten, Übungen, bei denen der Kopf unter Spannung nach hinten bewegt wird:
Superman-Übung oder im Yoga die Heuschrecke (Shalabhasana):
Aus der Bauchlage heraus, werden die gestreckten Arme und Beine vom Boden abgehoben. In der Anfangsposition wird der Kopf durch das Kinn auf dem Boden gestützt. In dieser Position wird der Kopf bei der Ausführung der Übung mit dem Brustbereich zusammen angehoben.
Kopfhebe-Übung
Eine zweite empfohlene Übung geht in die gleiche Richtung. Hierbei wird, ebenfalls aus der Bauchlage heraus, der Kopf mit dem Kinn am Boden abgestützt. Nun wird der Kopf ganz leicht (bis zu einem Zentimeter) vom Boden abgehoben. Diese Position ist zu halten, bis ein leichtes Zittern eine Ermüdungserscheinung anzeigt.
Wie alle Übungen, bei denen der Kopf oder der Halswirbelbereich involviert ist, dürfen auch hier die Bewegungen niemals forciert oder ruckartig ausgeführt werden.
„Wer sich kaum bewegt und noch dazu acht Stunden täglich vor einem Bildschirm kauert, macht dem Rücken keine Freude.“